Ist Montessori für jedes Kind geeignet?

Oft stellen Eltern die Frage, ob Montessori für jedes Kind das Richtige ist. Gibt es Charaktere und Persönlichkeiten, für die die Neue Schule nicht passt?

Grundsätzlich ist es für jedes Kind angenehm, sich seine Arbeitsschwerpunkte wählen zu können, nicht stundenlang sitzen und still sein zu müssen, sich zwischendurch bewegen zu können, sich mit Freundinnen und Freunden austauschen zu dürfen, in einer ruhigen, entspannten Umgebung sein zu können. Kein Kind wird glücklich, weil es Tests und Notendruck hat und entweder an Defiziten üben oder längst Beherrschtes endlos wiederholen muss. Die wenigsten Kinder bleiben aufmerksam, wenn sie langen Vorträgen zuhören müssen, jedes ist lieber selbst aktiv. Trotzdem gibt es immer wieder große Unsicherheiten, ob diese Pädagogik das Beste für das eigene Kind ist. Oft gehörte Fragen lauten:

Mein Kind hat ADHS – habt ihr diesbezügliche Konzepte?“ Wir haben immer wieder Kinder, die mit der Diagnose ADHS zu uns in die Schule gekommen sind. Diese Kinder waren anfangs arbeitsintensiv, aber erfahrungsgemäß legen sich ihre Probleme mit der Zeit. Kinder haben bei uns die Möglichkeit, jederzeit Pause zu machen. Sie können, wenn sie sich nicht mehr konzentrieren können, ein paar Runden ums Haus laufen oder eine der Karten „Bewegungsaufträge“ machen. Aber es gibt auch klare Regeln, die zu befolgen sind: Eine Arbeit wird fertiggestellt, die anderen werden nicht gestört. Je besser Kinder mit diesen Regeln umgehen können, desto mehr Freiheit haben sie. Je weniger sie die Regeln befolgen, desto enger werden die Grenzen, denen sie unterliegen. Das Ziel ist bei jedem Menschen, sich selbst so weit im Griff zu haben, um sich als wertvolles und geschätztes Mitglied der Gemeinschaft zu fühlen. Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten, die sehr „kribbelig“ sind und gerne selbst laut werden, sind meist einfacher zu begleiten als Kinder, die „unauffällig“ unkonzentriert sind, die ganz still vor einem Zettel sitzen, aber in ihren Tagträumen gefangen sind und die Zeit ungenutzt verstreichen lassen. Bei ihnen kommen auch wir oft an unsere Grenzen. Ebenso natürlich bei gewalttätigen Kindern und solchen, die das Gruppengefüge zu sehr belasten. Hier sehen wir von einer Aufnahme ab.

Mein Kind ist hochsensibel – wird darauf Rücksicht genommen?“ Nein, das ist uns wichtig zu betonen, es gibt keine spezielle Rücksichtnahme auf hochsensible Kinder. Unsere Umgebung ist für sensible Kinder grundsätzlich gut geeignet, weil wir auf Ruhe achten, weil es Rückzugsbereiche gibt, weil es bei uns nie „chaotisch laut“ ist, nicht herumgeschriebn wird, weil niemand etwas präsentieren muss, wenn er das nicht will, weil wir Konflikte schon im Ansatz bearbeiten und nicht schwelen lassen, weil es keine Menschenansammlungen gibt, weil ausreichend Platz ist, weil der Lärmpegel nie zu hoch wird, weil wir eine kleine Gruppe sind, in der jeder den anderen kennt und wo jeder die Reaktionen des anderen einschätzen kann. Aber eine Sonderbehandlung für Einzelne gibt es nicht. Wir können – um es plakativ auszudrücken – einem Menschen nicht ein Schild „Vorsicht hochsensibel“ umhängen und davon ausgehen, dass seine Umgebung darauf Rücksicht nehmen und ihm einen Sonderstatus zugestehen wird. Hochsensibilität ist diagnostisch unter der Nummer F 43.2 erfasst und bedeutet eine „Anpassungsstörung als psychische Reaktion auf psychosoziale Belastungsfaktoren“. Derartige Belastungsfaktoren so gut es geht zu minimieren, ist Teil unseres Konzepts, daran arbeiten wir tagtäglich. In herkömmlichen Schulen bricht, zum Beispiel, oft Chaos aus, kaum dass die Lehrerin den Raum verlässt. So etwas gibt es bei uns nicht – die Kinder sind es gewöhnt, alleine zu arbeiten und sie sind auch ohne Aufsicht ruhig und entspannt. Bei uns gibt es keine großen Belastungen. Aber mit den kleinen, die es überall gibt, wo Menschen aufeinander treffen, müssen alle Kinder zurecht kommen. Es herrschen die gleichen Rechte und Pflichten für alle, egal ob hochsensibel oder nicht. Jeder muss während der Arbeitszeit leise sprechen, jeder darf sich zurückziehen, jeder muss aushalten, dass nicht nur er selbst sondern auch der Nachbar flüstert und dass alle die gleichen rechte und Pflichten haben, die Gemeinschaft zu unterstützen. Wir akzeptieren nicht, dass ein Kind mit der Diagnose „hochsensibel“ zwar hoch sensibel ist, wenn es selbst gestört wird, aber weit weniger sensibel, wenn es selbst andere stört. Das werden wir niemals unterstützen und das halten wir auch für schädlich für das betroffene Kind. Mit dieser Klarheit schaffen es Kinder sehr gut, einschränkende Anpassungsschwierigkeiten schnell zu überwinden.

Mein Kind ist hochbegabt – wird es entsprechend gefördert?“ Bei uns gibt es keinen festgelegten Standard, sondern an jedes Kind die Erwartung, sein Bestes zu geben. Davon profitieren hochbegabte Kinder am allermeisten. In der Fülle von Material können sie frei wählen, das Angebot geht nie aus, es gibt immer Neues zu entdecken. Unsere Umgebung beinhaltet um Größenordnungen mehr Angebot als auch das begabteste Kind je bearbeiten könnte. Das genießen hochbegabte Kinder in besonderem Maß. Die freie Wahl des Arbeitspartners eröffnet die Möglichkeit, während der Arbeitszeit mit Älteren zusammenzuarbeiten, in der Freizeit aber mit Altersgenossen oder auch Jüngeren zu spielen. Da Kinder ohnehin nicht in altershomogenen Gruppen unterrichtet werden, gibt es auch keine Notwendigkeit „spezieller“ Förderung. Hochbegabte Kinder entwickeln sich bei uns meist hervorragend. Generell zeigt unsere Erfahrung, dass Kinder umso glücklicher und kompetenter sind, je weniger Sonderbehandlung für sie gefordert wird, und je eher die Eltern auf dem Standpunkt stehen: „Mein Kind ist ein ganz normales Kind und soll so behandelt werden wie alle anderen auch.“ Denn jedes Kind ist auf seine Art „besonders“.

Mein Kind ist zurückhaltend und zögerlichgeht es dann nicht unter? Bekommt es wenn nötig Anleitung?“ Manche Kinder tun sich am Anfang nicht leicht mit der freien Wahl. Daher werden sie in der Grundstufe an diese Arbeitsweise herangeführt: Materialien werden gezeigt und die Kinder immer wieder ermutigt, sich dem zuzuwenden, was sie interessiert. Viele lernen aber auch durch Zuschauen immens, sie profitieren, indem sie die Älteren beobachten. Manche Kinder beschäftigen sich mit dem, was die Freundin auswählt. Das ist in einem gewissen Rahmen in Ordnung. Haben wir das Gefühl, dass ein Kind seine eigenen Bedürfnisse vernachlässigt, werden wir versuchen, immer wieder nachzufragen, wo die eigenen Interessen liegen. Für so ein Kind kann es in einer Regelschule, wo es sich auf ständige Anleitung verlassen kann, anfangs einfacher sein. Die Frage ist nur, ob man das unterstützen möchte, oder ob das Kind lernen soll, die Herausforderung anzunehmen, mehr Eigeninitiative zu entwickeln.

Mein Kind hat autistische Züge – wie geht ihr damit um?“ Wir gehen davon aus, dass Kinder von sich aus neugierig sind und sich für Unbekanntes interessieren. Kein gesundes Kind bleibt freiwillig ewig beim Gleichen, wenn es die Sache schon durchschaut hat. Das ist viel zu langweilig. Wir mussten aber die Erfahrung machen, dass dieser Zugang bei Kindern im Autismusspektrum oder Kindern mit Lernbehinderungen nicht greift. Sie wollen sehr wohl immer beim Gleichen bleiben und es erfordert immense Anstrengung, ihnen auch nur kleine Veränderungen abzuverlangen. Da wir darauf angewiesen sind, dass Kinder von sich aus nach Weiterentwicklung – sprich Veränderung – streben, ist unser Konzept hier ungeeignet. Sie sind vermutlich in einem System, wo sie sonderpädagogische Begleitung bekommen und einfach „müssen“, auch gegen ihren Willen und trotz ihres Widerstands, besser aufgehoben.

„Mein Kind hat eine Lernbehinderung – ist Montessori trotzdem das Richtige?“ Das kommt auf Ihre Erwartungen an. Wir können an unserer Schule enorm gut differenzieren. Kinder arbeiten im gleichen Raum, am gleichen Tisch und trotzdem an unterschiedlichen Inhalten. Das ist die Grundlage unseres Systems. Wir müssen nicht von allen das Gleiche verlangen, Kinder arbeiten in verschiedenem Tempo und auf verschiedenen Niveaus. Das ist in Ordnung und funkioniert gut. Noch jedes Kind hat bei uns einen Pflichtschulabschluss erreicht und einen guten Weg ins Berufsleben gefunden. Der bestverdienendste unserer Absolventen ist übrigens ein junger Mann, der mit Sicherheit eine Lernbehinderung hatte, aber schlussendlich eine technische Lehre abgeschlossen und damit eine erfolgreiche berufliche Karriere gestartet hat. Sie machen alle ihren Weg. Was allerdings nicht funktioniert ist, dass Kinder ohne Lernmotivation nach acht Jahren wie durch Zauberhand und ohne Arbeit den gleichen Stand erreichen wie intellektuell sehr begabte Kinder. Wenn also die Erwartung der Eltern ist, dass ein Kind, das keine positive Einstellung zum Lernen hat, am Ende druckfrei, bedürfnisorientiert, anstrengungslos Gymnasiums-Niveau erreicht, dann werden wir diesen Wunsch nicht erfüllen können.

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Konflikte

Ein wesentlicher Bestandteil unseres pädagogischen Handelns ist die Förderung der Konfliktkultur. „Konflikte haben Vorrang“ – bevor ein Konflikt nicht bereinigt ist, wird nicht zur Tagesordnung übergegangen.

Ordnung

Nach den Beobachtungen Maria Montessoris gibt es eine sensible Phase für Ordnung. Es ist die Zeit, in der die Kinder – meist noch bevor sie zwei Jahrealt sind – Bausteine nach Farben sortieren und sehr empfindlich auf Störungen ihrer Ordnungsstrukturen reagieren.

Umgang mit Fehlern

Fehler sind wertvoll und führen zu selbstgewonnener Erkenntnis. Niemand soll Angst vor Fehlern haben, sondern sie als Chance erkennen